MBA-Studentin Yi Chen

China 2030: Low-Cost Zulieferer oder innovativer High-End Anbieter?

Unsere MBA-Studentin Yi Chen modelliert in ihrer Master-Thesis vier mögliche Szenarien für den chinesischen Zulieferermarkt von Nutzfahrzeugkomponenten bis 2030. Unter Berücksichtigung politisch-ökonomischer Entwicklungen schafft sie somit eine plausible und langfristige Bewertungsgrundlage, die es internationalen Fahrzeugherstellern (OEMs) erlaubt, Global-Sourcing-Maßnahmen abzuleiten und strategische Entscheidungen zu treffen.

Die seit den 1990er-Jahren fortschreitende Globalisierung war die wohl bedeutendste Entwicklung für China auf dem Weg zum mächtigen Wirtschaftsimperium. Allein die Zahlen von 1,4 Milliarden Einwohnern und einem BIP von umgerechnet 14,7 Billionen US-Dollar in 2020 sprechen eine eindeutige Sprache: Der Einfluss auf die Weltwirtschaft ist enorm, Tendenz weiter steigend. Aufgrund niedriger Produktionskosten bei hohem Fertigungstempo, der Chance auf neue Markterschließungen und die stetige Verfügbarkeit von Material und Technologien ist China heute ein attraktives Kernland der internationalen Beschaffung. Jüngst kann das Land auch als Zulieferer für internationale Automobilhersteller im Bereich Global Sourcing punkten. Im Jahr 2018 verzeichnete China einen stolzen Exportanteil von 34,8 Milliarden US-Dollar und schaffte es im internationalen Ranking gar auf Platz vier, nur knapp hinter den Kernmärkten des Automobilbaus Deutschland, Japan und den USA. Das Bestreben der Volksrepublik, die eigene Produktivität und Fertigungskapazität weiter zu steigern und innovativere Produkte anzubieten, hat in jüngster Zeit weltweit beispiellose Aufmerksamkeit generiert. Das aktuelle Weltgeschehen eröffnete jedoch zuletzt einen unsicheren und problembehafteten Blick auf das Land. Der andauernde Handelsstreik zwischen China und den USA sowie die geschwächten Lieferketten in Folge der Corona-Pandemie treffen vor allem den internationalen Zuliefermarkt und gefährden die kurz- und langfristige Versorgungssicherheit massiv. Dabei möchte China gerade jetzt einen Imagewandel auf ganzer Ebene hinlegen und sich vom Low-Cost-Anbieter hin zum High-End-Hersteller entwickeln. Langfristig sollen möglichst hochwertige Produkte und technologische Innovationen „Made in China“ die neue Leitkultur sein, mit einem Zulieferermarkt für Automobile als Wirtschaftsbeschleuniger. Der Fokus liegt dabei vor allem auf nachhaltigen Mobilitätslösungen, so dass sich China im M&A-Accounting vorrangig auf Hersteller der Automatisierung, Elektrifizierung und des Leichtbaus konzentriert. Vor diesem Hintergrund eröffnet unsere MBA-Studentin Yi Chen in ihrer Masterarbeit die Frage, ob und wie diese Entwicklung gelingen kann. Wie sollten internationale Fahrzeughersteller (OEMs) ihre globalen Sourcing-Strategien anpassen? Unter Berücksichtigung den komplexen, dynamischen, unsicheren und volatilen Prozessen einer modernen VUCA-Welt, skizziert Yi Chen vier mögliche Szenarien, wie der chinesische Anbietermarkt bis ins Jahr 2030 aussehen könnte und erlaubt mit ihrer Arbeit die langfristige Bewertung plausibler Zukunftsaussichten des Marktes.  

Mögliche Zukünfte des chinesischen Marktes

Im ersten Szenario erlebt der Zulieferermarkt die volle staatliche Unterstützung bei schnellem technologischem Fortschritt. Aufgrund der hohen finanziellen Anlagen können Gesamtproduktionskosten geringgehalten und schnelle Technologie-Upgrades erbracht werden, was China zu einem attraktiven Zulieferer im internationalen Wettbewerb macht. Für OEMs liegt die Chance im Erwerb hochtechnologischer Komponenten zu einem geringen Preis, während niedertechnologische Low-Cost-Produkte eher aus Ländern geringerer Wertschöpfung bezogen werden können. Jedoch bringt die staatliche Kontrolle auch Probleme mit sich. Aufgrund eines weitestgehend geschlossenen Marktes finden ausländische Käufer nur eingeschränkt Zugang, während sich Verhandlungen äußerst schwierig gestalten. Fahrzeughersteller sollten deshalb ihr Beschaffungsvolumen mit anderen Käufern bündeln und enge politische Kontakte pflegen. Ferner muss der chinesische Markt stark expandieren, um mehr Innovationskraft aufzubringen und könnte im geschlossenen System mit einem mangelnden Wettbewerbsdruck konfrontiert sein.

Weiter besteht die Möglichkeit eines Marktes mit stagnierendem technologischem Fortschritt, trotz hoher staatlicher Subventionierung. Hauptstärke Chinas bleiben die niedrigen Fertigungskosten, was vor allem durch den Ausbau an qualifiziertem Fachpersonal und fortschrittlicher Technik gewährleistet wird und so eine hohe Produktivität verspricht. Schwächen offenbaren sich jedoch im Bereich Forschung und Entwicklung und den inländischen Kerntechnologien, was eine mangelnde Innovationskompetenz begünstigt. Zwar können Fahrzeugkomponenten mit niedrigem Technologiegehalt von guter Qualität zu einem geringen Preis bezogen werden, das Risiko liegt jedoch weiterhin im geschlossenen Markt. Zur Teilnahme könnten gewisse Erwerbslizenzen erlassen werden, die niedrige Bezugskosten wiederum zunichtemachen würden. OEMs sollten deshalb vor Beschaffungsentscheidungen eine gründliche Berechnung der „Total Cost of Ownership“ vornehmen. 

Im Szenario „Hoher Technologischer Fortschritt, trotz ausbleibender staatlicher Unterstützung“ offeriert China einen führenden Markt an Kerntechnologien. Da die inländische Wirtschaft jedoch geöffnet ist, könnte dieser vermehrt mit ausländischen Akteuren geflutet werden, wodurch sich der Wettbewerbsdruck für chinesische Lieferanten massiv verschärft. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen diese vermehrt Investitionen in F&E tätigen, was aufgrund des Mangels an staatlichen Subventionen wiederum einen Preisanstieg auf Produktseite provoziert. Der Markt wird sich deshalb zwangsläufig ausdünnen und nur große Lieferanten werden den Wandel bewerkstelligen können. Für OEMs bietet sich die Chance, hochwertige High-Tech-Komponenten ohne Schranken und Marktregulierungen zu beziehen, jedoch wird der Kostenvorteil chinesischer Produkte hinfällig. Auch die Produktionskapazität kann unter der Marktausdünnung leiden. Die Empfehlung lautet deshalb, China entweder als sekundären Markt wahrzunehmen oder eigene Produktionsstätten im Land zu errichten, um logistische Risiken zu minimieren.

Das chinesische Worst-Case-Szenario lautet schlussendlich „Null staatliche Unterstützung und stagnierender technologischer Fortschritt“. Aufgrund des offenen Marktes herrscht ein hoher Wettbewerbsdruck vor, was Preisanstiege bei den Lieferanten zum Ausgleich von Produktions- und Betriebskosten zur Folge hat. Kleinere Anbieter halten diesem Wandel nicht stand und werden entweder übernommen oder ausgeschlossen. Die Ausdünnung des Marktes betrifft folglich auch das Low-Tech-Segment. Im Szenario gilt China schließlich als unattraktives Beschaffungsziel mit geringer Wertschöpfung. Fahrzeugherstellern wird deshalb geraten, den Markt nur als alternative Bezugsmöglichkeit neben anderen Primärlieferantenmärkten anzusehen.

Welches der vier Szenarien schlussendlich im Jahr 2030 in China vorherrschen wird, lässt sich aufgrund der vielen Unsicherheiten und einer relativ großen Zeitspanne nicht verlässlich vorhersagen. Die Studentin Yi Chen schließt deshalb mit der Empfehlung, als Fahrzeughersteller die Entwicklungstendenzen des chinesischen Zuliefermarktes stetig zu beobachten, um rechtzeitig entsprechende Maßnahmen einzuleiten.