Spannende Einblicke in die Praxis, interessante Perspektiven und der Austausch eigener Erfahrungen im Kontext – auch die letzte Praxisrunde im Jahr 2021 war abermals ein voller Erfolg. Die zentrale Frage, die diesmal den Rahmen des Programms begleitete: Wie lässt sich Nachhaltigkeit im Einkauf durch den gezielten Einsatz digitaler Technologien, KI oder Dienstleistungen implementieren? Wo existiert überhaupt eine Schnittmenge? Und welche Möglichkeiten, Chancen aber auch Grenzen bietet die Digitalisierung im Kontext der nachhaltigen Beschaffung? Antworten darauf konnten die beiden Referierenden vor allem aus ihrem eigenen breiten Erfahrungsschatz ableiten. Rena Kleine, die mit ihrem Start-up ecotrek ein Beispiel für die gekonnte Verknüpfung aufzeigt, sowie Klaus Pause als erfahrener Einkäufer und langjähriger Lehrbeauftragter.
Besonderes Anliegen der Referierenden
Dieser hat den Einzug beider Felder eigens miterlebt. Ersten Anläufen der Digitalisierung begegnete er bereits als Berufstätiger während der 1990er-Jahre. „Da wurde man damals quasi dazu gezwungen, sich dem anzunehmen“, berichtet der Dozent heute schmunzelnd, als namhafte Lieferanten schon während der Zeit auf ein rein digitales B2B-Verkaufsportal setzten. Während die digitale Revolution in den Folgejahren immer stärkere Auswüchse annahm, geriet der Begriff Nachhaltigkeit erst im Jahr 2008 in den Fokus von Klaus Pause. Im Zuge des damals folgenden Earth Days sowie den sich häufenden klimatischen Ereignissen vor der eigenen Haustür entstand bei diesem schnell der Drang zum Handeln. Wie diese Verantwortung in den betrieblichen oder gar beschaffungswirtschaftlichen Kontext gesetzt werden konnte, war bis dato noch nicht abzusehen. Doch der Wille, wirklich etwas zu bewegen und Menschen zu überzeugen, war geweckt. Der Widerstand dagegen anfangs umso größer. „Das hat sich in den letzten Jahren zum Glück dramatisch verändert. Wir haben heute kaum mehr eine wichtige Konferenz oder ein Forum, bei dem Nachhaltigkeit - auch im Einkauf - nicht mit vorne auf der Agenda steht“. Der Druck von außen ist Pause nach größer geworden und durch die Digitalisierung ganz andere technische Möglichkeiten existent, als noch vor fünf oder sechs Jahren. Möglichkeiten, die Raum für innovative Tools schaffen, was sich am Beispiel ecotrek zeigt.
Mit eigenen Augen erlebte auch dessen Mit-Initiatorin Rena Kleine die teils gravierenden Folgen, wenn verantwortungsvolles Denken auf der Strecke bleibt. Ihre nach dem Abitur getätigten Reisen durch Südostasien und Amerika hinterließen einen bleibenden Eindruck von Bildern großer Umweltzerstörungen und deren unmittelbaren Auswirkungen. Für ihre anbahnende Karriere war damit die ausschließliche Arbeit für ein nachhaltig-agierendes Unternehmen nicht verhandelbar. Zurück in Berlin ging dann alles ganz schnell: Nach dem Studium in Digitale Wirtschaft mit Schwerpunkt Machine Learning & Big Data Analytics folgte nach kurzem Zwischenstopp in der Branche prompt die Gründung von ecotrek. Ausschlaggebend war dafür die Fragestellung im Rahmen eines Events, wie nachhaltig eigentlich Lieferanten des täglichen Gebrauchs arbeiten? Ein Gedanke, der sie fortan nicht mehr los lies. Antworten darauf sollte das initiierte Tool ecotrek liefern, ein exemplarisches Beispiel für die Verknüpfung von datengetriebener Technologie und Nachhaltigkeit im Kontext des Supply Chain sowie die pragmatische Einbindung der Keywords im Unternehmen.
„97 Prozent der Unternehmen liefern keine Informationen zur eigenen Nachhaltigkeit“, beschreibt Rena Kleine die Problematik, die sie mit ihrem Start-Up angehen möchte. Da das größte Gewicht der anfallenden Emissionen häufig entlang der Lieferketten verortet ist, sollte eine maßgeschneiderte Lösung für den Einkauf her. „Ecotrek möchte eine 100 Prozent nachhaltige Beschaffung ermöglichen“, beschreibt die Mitgründerin das ambitionierte Ziel. Um bewerten zu können, wie „grün“ die eigenen und potentiellen Lieferanten wirklich agieren, sammelt eine Software via Sustainable Data Mining komplexe Datensätze zu ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten im Kontext der 17 SDG‘s, analysiert diese und errechnet daraus einen Score zur Einordnung - das Ganze entlang der gesamten Lieferkette. Durch Direktanbindung an Großdatenbanken und definierten Filterkriterien verspricht die Software qualitative und belastbare Daten, fernab vom häufig betriebenen Greenwashing der Kunden. Zusätzliche Dienstleistung wie Reports sollen einen fundierten Überblick schaffen, die auch als Grundlage für Verhandlungen herangezogen werden können. „Zur nachhaltigen Überzeugung braucht es Firmenphilosophie und Einkaufsstrategie. Aber eben diese benötigen schlussendlich Daten als Entscheidungsgrundlage“, erklärt Rena Kleine das Konzept hinter ihrem Unternehmen. Wie wichtig solche Informationen sein können, zeigt sich an der Fülle an Möglichkeiten, die sich daraus für Unternehmen ergeben.
Chancen und Hürden im Blickwinkel
Eine ernsthaft gelebte Nachhaltigkeit kann einerseits ein großer Enabler sein, wenn beispielsweise Argumente im eigenen Unternehmen fehlen. Typischerweise sind die Abteilungen Einkauf und Personalabteilung weniger affin für digitale oder gar nachhaltige Lösungen. Beides kann sich jedoch mit dem nötigen Verständnis gegenseitig vorantreiben, wenn es nach Rena Kleine geht. „Nachhaltigkeit kann im Einkauf ein ganz anderes Standing generieren, hat intern einen riesen Impact und ist ein Hebel für die eigene Rolle im Unternehmen“, argumentiert die Gründerin. Auch in scheinbar kleinen Umsetzungen steckt viel Potential, wie etwa dem Einsparen von Papier, der Digitalisierung von Arbeitsabläufen und einer dadurch gesteigerten Effizienz oder eine Senkung des Müllaufkommens. Im großen Stil eines Unternehmens bedeutet dies nicht weniger als gelebte Kosteneinsparung mittels weniger Handgriffe. Auf der anderen Seite ist das Thema auch aus Imagegründen ein bedeutender Faktor. „Wir müssen ein bisschen aufpassen, da viel Greenwashing betrieben wird“, warnt Klaus Pause vor. Wer sich hingegen Nachhaltigkeit auf faire Art und Weise auf die Fahnenstange schreibt oder gar seine Marke damit auszeichnet, erzielt in der Öffentlichkeit eine positive Reputation und kann sein Image gezielt aufpolieren. Auf kurz oder lang zahlt sich solch ein immaterielles Gut ebenso aus. Auch wenn für eine nachhaltige Unternehmenskultur zunächst ein gewisses Budget eingeplant werden muss, stehen die Chancen dazu in keinem Verhältnis – etwa, wenn es um Aspekte wie die öffentliche Wertschätzung, Kundenbindung, Wettbewerbsvorteile und letzten Endes das langfristige Umsatzplus geht. Hemmschwellen existieren aber nicht nur in der Kostenfrage.
Egal ob Ressourcen- oder Kapazitätenmangel, das Fortbestehen der eigentlichen Arbeit, Fragen nach der Rentabilität oder zu viele laufende Projekte – all das sind berechtige Gründe, wenn digitale und nachhaltige Lösungen in den Hintergrund rücken oder gar gescheut werden. Häufig sind entsprechende Konzepte zwar schon Bestandteil in Unternehmen, berücksichtigen dabei aber nicht den Einkauf in der Planung. Auch ein Mangel an Verständnis ist leider ebenso ein häufiger Grund, dass die Thematik bei Entscheidungen nicht priorisiert wird. Langfristig, mahnt Kleine, werden neben gängigen Bilanzen auch Nachhaltigkeitsauskünfte gefordert werden, die dann als Entscheidungsgrundlage auf den Gremientischen landen. Die Welle der Digitalisierung sei zudem noch lange nicht vorbei, obendrauf käme jetzt zusätzlich noch die Achtung nachhaltiger Aspekte. Dass sich Unternehmensstrukturen damit häufig überfordert fühlen, sei nicht von der Hand zu weisen. Eine klare Rollenverteilung und die Einbindung von jüngeren, affinen Leuten in den entsprechenden Abteilungen kann in der Umsetzung helfen, da diese meist ein besseres Grundverständnis zur Thematik aufweisen und kreative Ideen mit sich bringen. Auch die Bildung von Arbeitsgemeinschaften und Adaption einer zentralen Nachhaltigkeitsinstanz kann Abhilfe schaffen. Fundamental sei für den Erfolg von Projekten ebenso eine klare Vision, Strategie und ein holistischer Blick. „Der große Wurf oder gar die Kopplung mehrerer Projekte wird nicht gelingen. Besser ist es, klein anzufangen und sich in mehreren Schritten dem großen Ziel zu nähern“, rät Klaus Pause. Generell sei eine gute Basis und Planung essentiell für jede Art von Change oder Transformation.
Handlungen für Unternehmen bald unausweichlich
Für Gesprächsbedarf sorgte auch das neue Lieferkettengesetz, das für viele Arbeitgeber eine drastische Veränderung darstellen wird. Demnach müssen Unternehmen künftig mehr Verantwortung übernehmen und Sorge tragen, wenn entlang deren Lieferkette Menschenrechtsverletzungen wie Zwangs- oder Kinderarbeit stattfinden. Liegen entsprechende Hinweise vor, sind Arbeitgeber fortan verpflichtet, selbst tätig zu werden. Das Gesetz sieht dabei eine behördliche Prüfung vor, bei Versäumnissen drohen Bußgelder oder weitere Sanktionen. Die transparente Dokumentation mag für manche zunächst abschreckend klingen, ist jedoch für Klaus Pause und auch Rena Kleine als deutliche Chance zu werten. Eine berechtigte Frage für viele Betriebe bleibt, wie möglichst schlüssige Informationen und Antworten aus den eigenen Daten abgeleitet werden können? Zwar bestünde Rena Kleine nach die Gefahr, dass das Gesetz betriebsintern an den Einkauf abgewälzt oder dieser mit Fragen nach Handlungsempfehlungen konfrontiert wird, zugleich biete sich dadurch aber auch eine einmalige Gelegenheit. Eine solche Prüfung vollautomatisch und digital anzugehen, erscheint dabei nicht nur effizient und zielführend, sondern bedeutet im Kontext der Praxisrunde auch eine Win-Win-Situation.
Mit Hilfe digitaler Technologien lassen sich Prozesse heute wesentlich effizienter, einfacher und kostengünstiger adaptieren und umsetzen. Dass Hemmschwellen im Kontext des Themas noch immer existieren, aber auch viel Potential in Unternehmensstrukturen besteht, zeigt sich auch am Feedback der Teilnehmer*innen. Anhand einiger Beispiele wird klar, dass sich Nachhaltigkeit und Digitalisierung nicht nur gut miteinander verknüpfen lassen – sie bedingen sich häufig sogar. Dass es für das eigene Standing lohnend sein kann, hartnäckig zu bleiben und an Ideen festzuhalten, unterstreicht Klaus Pause zum Abschluss mit einer persönlichen Anekdote: „Während meiner Zeit im direkten Einkauf war ich oft in Asien unterwegs und musste dort Dinge sehen, die viele Konsumenten niemals zu Gesicht bekommen. Ich bin vor 15 Jahren mit der klaren Vision und voller Euphorie nach Asien geflogen, um dort ein Projekt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu etablieren“. Mit jedem gekauften Produkt sollten wenige Cent zurück an den Lieferanten fließen, wenn dieser nachweislich für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen sorgt. Was in Asien willkommen geheißen wurde, fand in Deutschland lauten Gegenwind. „Das hat mich sehr betroffen gemacht. Aber daran sieht man, wie lange mich das Thema im Einkauf schon begleitet und ich bin wirklich froh, dass wir heute mit EDV, IT, AI oder Data Mining diese Dinge besser bewältigen können und die Hürde in den digitalen Einstieg mit dem Aspekt Nachhaltigkeit wesentlich geringer ist, als noch vor nicht allzu langer Zeit.“
Die OHM Professional School bedankt sich bei den Referent*innen Klaus Pause und Rena Kleine für den aufschlussreichen Input, die Moderation und eine Vielzahl an Anreizen. Ein besonderer Dank gilt ebenso den Zuhörerinnen und Zuhörern für deren aktive Teilnahme und das entgegengebrachte Interesse.